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Opinion: Was ist dir dein Job wirklich wert?

Ein Meinungbeitrag von Christina Kehl, ISA Executive Chairwoman


Wert der Arbeit
Wert der Arbeit

Während sich künstliche Intelligenz mit rasanter Geschwindigkeit in immer mehr Berufsfelder vorarbeitet, stellen sich viele Menschen eine simple, aber tief existenzielle Frage: Wie sicher ist mein Job noch?


In Büros, Zoom-Calls und Bewerbungsgesprächen wächst ein neues Gefühl. Kein lauter Alarm – eher ein stetiges Unbehagen. Die Ahnung, dass das, was uns heute ausmacht, morgen von Maschinen übernommen werden könnte.


Und jetzt gibt es erstmals einen Preis für diese Angst.


Eine neue, gross angelegte Schweizer Studie zeigt: Erwachsene in der Schweiz wären im Schnitt bereit, auf 20 % ihres Jahreslohns zu verzichten, wenn sich dadurch das Risiko verringert, in den nächsten zehn Jahren durch Automatisierung ersetzt zu werden. Das entspricht rund CHF 15’000 – jedes Jahr.


Diese Zahlungsbereitschaft ist nicht hypothetisch. Sie basiert auf einem fundierten, repräsentativen Experiment mit fast 6’000 Personen und wurde kürzlich im Journal of Economic Behavior & Organization veröffentlicht. Und sie zeigt: Die Unsicherheit über die eigene berufliche Zukunft ist längst kein Nischenthema mehr. Sie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.


Was genau wurde gemessen?

Die Studie von Cattaneo, Gschwend und Wolter basiert auf einem sogenannten „Discrete-Choice Experiment“. Die Befragten sollten sich wiederholt zwischen zwei hypothetischen Karrierewegen für ein fiktives Kind entscheiden – mit unterschiedlichen Eigenschaften: Jahreslohn, Bildungsweg, Hierarchiestufe und – entscheidend – dem Risiko, dass der gewählte Job in den nächsten zehn Jahren vollständig durch digitale Technologien ersetzt wird.


Das brillante an diesem Setup: Es zeigt nicht nur, welche Faktoren den Ausschlag geben, sondern auch, wie viel Menschen bereit wären zu opfern, um ein bestimmtes Risiko zu reduzieren. In diesem Fall: das Risiko, durch Automatisierung überflüssig zu werden.


Sicherheit schlägt Status

Was dabei sichtbar wird, ist ein bemerkenswerter Wertewandel:Nicht der höchste Lohn, nicht die prestigeträchtigste Position, sondern die geringste Ersetzbarkeit durch Technologie wird zum entscheidenden Kriterium.


Sicherheit wird zur neuen Karrierewährung.


Und das in einem der digital fortschrittlichsten Länder Europas.


Wer fürchtet sich am meisten?

Die Zahlungsbereitschaft unterscheidet sich deutlich zwischen den Gruppen:

  • Frauen sind im Schnitt bereit, mehr für ein geringeres Automatisierungsrisiko zu zahlen als Männer.

  • Ältere Menschen (50+) bewerten die Gefahr deutlich kritischer als Jüngere.

  • Menschen mit tieferem Bildungsniveau fühlen sich besonders bedroht.

  • Und wer sich selbst als risikofreudig bezeichnet, zeigt eine geringere Zahlungsbereitschaft – ein Zeichen, dass das Risiko subjektiv weniger bedrohlich wahrgenommen wird.


Besonders bemerkenswert: Auch Akademiker:innen mit Universitätsabschluss – also die typischen „Gewinner:innen“ früherer Digitalisierungswellen – zeigen eine signifikante Bereitschaft, Lohneinbussen in Kauf zu nehmen, um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern. Denn sie wissen: KI ersetzt nicht mehr nur Routinen, sondern zunehmend auch kognitive, kreative und kommunikative Aufgaben – von Texten über Strategien bis hin zu Code.


Was bedeutet das für Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft?

Diese neue Realität verlangt ein radikales Umdenken:


  1. Weiterbildung wird zur Pflicht, nicht zur Kür. Wer sich nicht permanent weiterentwickelt, verliert an Relevanz – egal auf welchem Level.

  2. Bildungssysteme müssen dynamischer werden. Starre Abschlüsse reichen nicht mehr. Es braucht modulare, praxisnahe Formate, die mit der Technologie Schritt halten.

  3. Unternehmen müssen transparent machen, wie sie den Wandel gestalten. Wer Mitarbeitenden keine Perspektive gibt, verliert sie.

  4. Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die Zukunft ermöglichen – nicht nur Vergangenheit verwalten.


Denn hinter der Bereitschaft, CHF 15’000 im Jahr aufzugeben, steckt nicht nur Angst. Sondern ein starkes Signal: Menschen wollen gestalten, nicht ausgeliefert sein.

Sie wollen verstehen, wie sie relevant bleiben können. Sie wollen lernen, was es braucht, um sich anzupassen. Sie wollen Werkzeuge, keine Vertröstungen.


Der gesellschaftliche Deal lautet nicht mehr: „Mach eine gute Ausbildung, dann bist du sicher.“ Sondern: „Bleib lernfähig – und wir unterstützen dich dabei.“


📖 Die vollständige Studie gibt es hier im Open Access: 👉 How scary is the risk of automation? Evidence from a large-scale survey experiment



Der Innovationsverband Schweizer Arbeitsmarkt (ISA) gestaltet die Zukunft der Arbeit. Seit 2024 entwickelt das engagierte Team innovative Lösungen für Professionals, Unternehmen und Verwaltungen, abgestimmt auf die Anforderungen einer dynamischen Arbeitswelt. Mit Fokus auf politisches Engagement, Bildung und Netzwerke stärkt ISA den Schweizer Arbeitsmarkt – agil, inklusiv und zukunftsorientiert.

 
 
 

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